Er fährt dahin, wo sonst niemand hinfährt. Dabei ist er sich seiner Sache sicher, denn er darf das – als Einziger. Der Hafenbus bringt seine Gäste zu den Bremerhavener Überseehäfen und damit in die „verbotene Stadt“. Seit 20 Jahren erhält er exklusive Zufahrt auf die Kajen der Seestadt und damit zu den „dicken Pötten“.
„Immer wieder aufregend“, auch nach mehr als 600 Fahrten auf das Gelände. Gisela Fischer ist ebenso erfahren wie begeistert, was „ihre“ Führung im auffälligen, gelb lackierten Doppeldecker angeht. Denn hinter, vor oder neben ihr ist richtig „Leben in der Bude“, immer! Anders als im Museum beispielsweise, wo ein Museumsführer seine Gruppe zu den immer gleichen, unbeweglichen, künstlerischen Schätzchen führt. Stillleben gibt es in den Bremerhavener Überseehäfen nicht, hier wird rund um die Uhr geschafft.
Der Job von Gisela Fischer ist ein besonderer, denn sie darf das, was anderen strikt verboten ist. Die Tour der Erlebnis Bremerhaven GmbH ist deutschlandweit einzigartig, ein echtes Alleistellungsmerkmal. Ohne Passierschein bzw. besondere Erlaubnis kommt niemand in die „verbotene Stadt“, schon gar nicht zum Schauen, da helfen weder Geld noch Vitamin B. Mit einer Ausnahme – seit 2001.
Damals kam der langjährige Bremerhavener Tourismuschef Hennig Goes auf die Idee, einen in Berlin ausrangierten Linienbus für eine Rundfahrt durch Stadt u.a. mit den Stationen Havenwelten, Deutsches Schifffahrtsmuseum (DSM), Klimahaus, Auswandererhaus, Neuer Hafen und Kaiserschleuse bis hinein in die Überseehäfen in Bremerhaven zu nutzen. Während private Firmen zuvor an der Umsetzung scheiterten, entpuppte sich der städtische Doppeldecker schnell als Erfolgsmodell. Bis heute machen sich rund 30000 Menschen – nicht nur Touristen, auch die Einheimischen entdecken „ihren“ Hafenbus immer wieder neu – pro Jahr auf die Tour zu den Containerterminals und den „dicken Pötten“. Ein Grund für die Beliebtheit der gelben „Wundertüte“ ist das Spontane, Unkalkulierbare, mit denen Fahrer, Führer und Fahrgäste rechnen müssen.
Denn schaffen müssen nicht nur die Arbeiter auf dem Hafengelände, sondern auch die Gästeführer. Zum xten Mal gehörte Ansage vom Band – Fehlanzeige, denn die tagtäglich neuen Gegebenheiten im Hafen machen Live-Kommentare an Bord erforderlich. Und eine gute Vorbereitung der insgesamt 13 Männer und Frauen, die zum Team der Hafenbus-Gästeführer gehören. Dazu zählen neben dem Anzapfen der Kontakte in die Hafenwirtschaft auch die intensive und tagesaktuelle Sichtung von Internetseiten wie Marine Traffic, damit man weiß, welche Schiffe gerade in Bremerhaven Station machen. Zudem sind eine intensive Schulung und Prüfung vonnöten, bevor man den Gästen was vom Schiff erzählen darf. Das ist neben Deutsch auf Wunsch der Teilnehmer auch in englischer, spanischer oder französischer Sprache möglich. Alles in allem ein hoher Qualitätsanspruch, den die Gästeführer tagtäglich unter Beweis stellen und der regelmäßig mit kräftigem Applaus seitens der Passagiere honoriert wird.
Der fehlt seit 1. November 2020 und den Corona-Auswirkungen leider komplett, der Doppeldecker steht seitdem im Depot. „So lange stand der Hafenbus in den letzten 20 Jahren nicht still – wir warten ungeduldig darauf, unser Schmuckstück bald wieder auf die Kaje bringen zu können“, hofft Dr. Ralf Meyer, Geschäftsführer der Erlebnis Bremerhaven GmbH.
Auch die Charterfahrten zusätzlich zur Rundtour bleiben aus, insbesondere Schulklassen müssen auf ihre Tour in die Überseehäfen verzichten. Dagmar Riepenhusen, mit nahezu 1000 Hafenbus-Touren seit 2003 die quasi „Allwissende“ unter den Gästeführerinnen, vermisst das junge Publikum. Auch wenn sie durchaus mal korrigieren muss, dass dieser breite Fluss vor Bremerhaven nicht der Rhein ist, freut sie sich auf das Quiz Schüler gegen Lehrer, welches nach ihren Erläuterungen während der Tour oft zugunsten der Schüler ausgeht.
Passend zum stets überraschenden Geschehen im Hafen sorgen auch manche Touren für neue oder zumindest ungewöhnliche Erkenntnisse. Davon wissen die Gästeführer in 20 Jahren natürlich so Einiges zu berichten:
– Irish Parliament
Bei einer Hafenbus-Tour mit Schülern aus Südafrika und Bremerhaven interessierte sich die Jugend vor allem für das andere Geschlecht, also „Baggern“ statt Container verschieben. Die Lehrer waren froh, mal unter sich auf der Viererbank zu sein, was alle im Bus zu intensiven und lauten Gesprächen nutzten. Für Gästeführer Peter Grimm Irish Parliament sozusagen, als erstes verlor die Fahrerin wegen des Stimmenwirrwarrs die Nerven und rüffelte die Lehrer. Die verteilten sich nun im Bus, kurze Pause, dann ging es munter weiter im Irish Parliament – und zum Glück mit der Tour bis Endstation.
– Zoll-Delegation
Hochrangige Zollbeamte aus sechs verschiedenen Ländern – da fährt jede Menge Fachwissen mit. Auf die Frage von Gästeführer Peter Grimm „Wie viele Schmuggler oder Schmuggelware in Prozent erwischen Sie“? schwiegen die Angesprochenen allerdings beharrlich. Kein Wunder, denn es wird nur ein winziger Bruchteil erwischt. Grimm, selbst jahrelang auf See, kam stets ungeschoren davon . . .
– Zwei Gäste an Bord
Ein Doppeldecker für nur zwei Gäste? Bei Charterfahrten gibt es auch das.
– Muskelkraft schafft Alles
Gästeführerin Dagmar Riepenhusen traute ihren Ohren kaum, als eine Mutter ihrem Sohn im Hafenbus folgende Lebensweisheit auf den Weg der Schiffe ins Trockendock der Lloyd-Werft gab: „Dazu kommt die gesamte Belegschaft der Werft ans Dock und zieht mit starken Tauen das Schiff per Muskelkraft ins Dock“.
– Schweizer Esotheriker
Die Charterfahrt mit einer Esotherikgruppe aus der Schweiz war ein echtes Highlight für Riepenhusen. Denn auf der Suche nach möglichst viel „Welthafenatmosphäre“ war die Gruppe auch sehr empfänglich für „spooky stories“, also alles rund um Geisterschiffe, Klabautermann oder Meerjungfrauen. Zum Abschluss der Tour ging es auf den Container-Aussichtsturm. Dort bildete die Gruppe mit Riepenhusen einen Kreis, sog fünfmal tief Hafenluft und donnerte anschließend dreimal kräftig „Oomm“ Richtung Hafen. Tiefenentspannt war dann auch die Gästeführerin, denn die Begeisterung der Esotherikgruppe entlud sich in einem üppigen Trinkgeld.
– „Noch nie gesehen“
Rund 600 Touren hat Gästeführerin Gisela Fischer bis April 2021 absolviert. Ihre Fragen vor dem Einsatz drehen sich um Zahl und Herkunft der Gäste, um Schiffe, Ladung und Alles, was im Hafen los ist. Hört sich an wie Routine, ist es aber nicht. Denn schließlich sorgen rangierende Züge, offene oder geschlossene Brücken oder hohes Verkehrsaufkommen für jede Menge Spannung. Diese legt sich bei Fischer vor allem dann, wenn ihre Zuhörer bekunden: „So etwas habe ich noch nie gesehen“ oder „Ich hätte nicht gedacht, dass wir so nah an die Schiffe kommen“. Und was bewirken solche Rückmeldungen auch nach zehn Jahren als Gästeführerin? Glücksmomente, die aktuell wegen Corona leider nach wie vor fehlen. . .
Text: Ralf Theisen
Bild: Seit 20 Jahren ist der Hafenbus eine Institution in Bremerhaven
Bildquelle: Erlebnis Bremerhaven GmbH