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MB eCitaro: Ausfahrt auf leisen Sohlen

Datum: Quelle: BUSMAGAZIN

Was haben sich die Mercedes-Verantwortlichen in den letzten Jahren nicht alles anhören müssen auf einschlägigen Konferenzen und Veranstaltungen in Bezug auf die Elektromobilität: „zu spät“, zu wenig Engagement“, gar „zu wenig guter Willen“! „Trotzdem wurden bisher keine großen Stückzahlen Ebuscos, Solaris oder Volvos in Deutschland gekauft. Viele Betreiber warteten dann doch lieber brav auf den Marktführer, dessen Produkt nach eigener Aussage so spät kommt, weil es schlichtweg das Beste (oder Nichts) werden soll. Und wirklich ist beim eCitaro vieles grundlegend anders als bei anderen E-Bussen, und erst recht als beim eigenen fossilen Vorgänger.

Aber keine Angst, vieles bleibt doch beim Alten auch beim neuen, ersten rein elektrischen Mercedes-Benz eCitaro, dessen Diesel-, Hybrid- und CNG-Vorgänger der meistverkaufte Stadtbus Europas ist. So ist das grundsätzliche Layout von Karosserie und Fahrerarbeitsplatz weitgehend unverändert, auch der Komponenten- oder Batterieturm bleibt vorerst erhalten, da er für die Unterbringung von Batterien unerlässlich ist. Angesichts der bisher eher homöopathischen Verkaufszahlen der bisherigen „First Mover“ stehen die Chancen gut, dass auch der jüngste, „lokal emissionsfreie“ Spross der Stadtbusfamilie aus Mannheim schnell in großen Stückzahlen auf die Straße kommen wird. Angesichts der politischen Zwänge und der noch späteren Lieferfähigkeit von einigen Wettbewerbern werden Daimler derzeit die schon gebauten Elektrobusse beinahe aus den Händen gerissen – da zeigt sich, wie gut das Konzept ist, flexibel auf den gleichen Montagebändern am Neckar zu fertigen.
Und die Flotte wächst stetig: Hamburg hat noch 2018 vor dem Jahreswechsel einen fliegenden Start hingelegt, Mannheim und Heidelberg folgten Anfang 2019 auf den Fuß, und auch die Hauptstadt Berlin wird mit seinen zehn bestellten gelben Bussen nicht mehr allzu lange warten müssen. Höchste Zeit also für die erste Ausfahrt im heißest erwarteten Stadtbus Europas.

War der teilautonome „Future Bus“, der 2016 in Amsterdam vorgeführt wurde, noch ein reines Showcar auf Dieselbasis, bei dem gerade im Innenraum nichts so bleiben durfte wie bekannt, so gibt sich der eCitaro innerlich weitgehend brav - bis auf die neue Innendecke mit neuen Leuchtmodulen. Der Solowagen ist als zwei oder Dreitürer lieferbar. Der Gelenkbus folgt frühestens 2020, gleichzeitig mit der Münchener Konkurrenz und vielleicht sind dann auch Volvo und Scania soweit mit ihren langen Bussen.

Anders als MAN will Daimler mittelfristig aber auch Busse mit kleinerer Batterie und Pantografenladung anbieten, derzeit sind die Protokolle für diesen Ladestandard aber noch nicht final verabschiedet. Die Nachteile der geringeren Ladeeffizienz und Reichweite bei Schnellladung dürfte diese Variante, die die deutschen Hersteller derzeit noch scheuen wie der Teufel das Weihwasser, durch höhere Nutzlast dank kleineren Batteriepakets ausgleichen. Immerhin wiegt der Mannheimer Elektrobus mit 13,7 t rund 2 t mehr als ein Diesel- oder Erdgaskollege. Das reicht je nach Berechnungsweise noch für eine Kapazität von 70 bis 86 Passagieren, also mindestens zehn weniger als im fossilen Citaro.

Die ebenfalls für 2020 angekündigten Feststoffbatterien sollen nochmals schwerer werden – dafür sind sie hitzeunempfindlicher und haben eine deutlich längere Lebensdauer. Die „systemrelevante“ ­– sprich praxisgerechte – Reichweite des mit der ersten Akasol-Generation Lithium-Ionen-Batterien mit NMC-Chemie aus hessischer Produktion (diese verwendet auch Volvo) wird von Daimler mit 150 km angegeben, unter extremen klimatischen Bedingungen auch mal 110 km. Dafür sind es unter optimalen Bedingungen bis zu 250 km. So manchem Kunden reicht das freilich nicht, typische Umläufe bewegen sich eher im Bereich von 300 km. Einige Betreiber haben daher ihren Wunsch nach 12 statt der bisher angebotenen 10 Batteriemodule (sechs immer im Heck) platziert.

Und wenn sich große Kunden mit berechtigten Sonderwünschen zu Wort melden, dauert es meist nicht lange, bis sich die Hersteller in ihre Richtung bewegen. Dieser Wunsch würde die Batteriekapazität zwar auf rund 290 kWh pushen und die 200 km systemrelevante Reichweite kämen in Sicht, allerdings käme auch nochmal mehr Gewicht ins Auto. MAN geht hier einen größeren Schritt und will sofort eine Riesenbatterie mit 480 (Solo) bzw. 640 kWh (Gelenkbus) auf die Straße schicken. Man darf auf das Ergebnis auf der Waage gespannt sein.

Daimler wäre aber nicht Daimler, wenn man dieses Thema Gewicht nicht ausreichend von der technischen Seite her bedacht hätte. Und das von mehreren Seiten: So kommt im eCitaro als einzigem Vertreter der Niederflur-Busflotte die neue 8-t-Vorderachse von ZF zum Einsatz. Mit dieser Achse und tragfähigeren Reifen der Dimension 315/60 ist das zusätzliche Gewicht kein Thema: Bei Bedarf können die Batteriemodule auf dem Dach (im „Komponententurm“ sind es serienmäßig immer sechs Mudule à 25 kWh Energie) nochmal „getrimmt“, also nach Bedarf verschoben werden, um die optimale Gewichtsverteilung zu erreichen. Und wie alle Mercedes-Stadtbusse mit erhöhtem Schwerpunkt Dachlast (H2, CNG) lässt sich auch dieser Bus mit der elektrohydraulischen CDC-Dämpfung von ZF ausstatten, die das Fahrverhalten sehr positiv beeinflussen. Wenn auch das Gewicht des Fahrzeuges durchaus merklich ist, so ist der gefühlte Fahrkomfort deutlich gesteigert gegenüber den bisherigen Fahrwerken. Daimler sollte für alle seine Busse die bisherige Zurückhaltung bei dem Thema aufgeben!

Womit wir hinter dem Multifunktions-Lenkrad Platz genommen hätten. Am Arbeitsplatz hat sich grundlegend nicht viel geändert. Die Fahrer müssen sich also nicht weiter umstellen. Neu sind lediglich zwei Anzeigen: das Powermeter zur Anzeige des Energiefllusses aus und in die Batterie rechts im analogen Display (warum eigentlich noch nicht volldigital wie von Conti bereits geliefert?) und darunter die SOC-Anzeige, der „State of Charge“.

Der zeigt die Batteriefüllung im Bereich der genutzten 20 - 80 % Ladehub, die die volle Nutzbarkeit der Batterie über die Lebensdauer sicherstellt. (Daimler spricht von rund acht Jahren.)

Der Fahrer muss aber nicht mitrechnen, er sieht immer die relevante Füllung, ohne gleich stehenzubleiben, wenn sich die analoge Nadel der Null nähert – die Urangst jedes deutschen Elektrofahrers. Allerdings gesellt sich auch die Urfreude des Elektrofahrers dazu: die am vollen Drehmoment von der ersten Umdrehung der Kupferwindungen an. Und das ist mit 11000 Nm an jedem Radsatz (485 Nm am Ausgang des radnahen Asynchronmotors direkt hinter der Scheibenbremse) durchaus üppig bemessen. Zwar regelt Daimler den dynamischen Vortrieb sanft auf ein fahrgastfreundliches Maß ein. Aber der Nachdruck, den die beiden surrenden Motoren an der Portalantrieben der ZF AxTrax-Achse vorlegen, ist einfach atemberaubend zu nennen – ein Hauch von Tesla im Stadtbus.

Zu diesem neuen Fahrgefühl gehört auch eine gehörige Portion Segeln auf dem Asphaltozean, denn das wird ungehindert möglich, wenn der Fahrer den Rekuperationshebel unangetastet lässt und die Voreinstellungen passen. Die sind recht flexibel und lassen es zu, fast mit „One-Pedal-Feeling“ - also ausschließlich mit dem Fahrpedal zu chauffieren. Nach dem vehementen Beschleunigen ist es der Effizienz sehr zuträglich, wenn das Segeln als natürlich Gegenbewegung den Wagen ohne Energiebedarf sanft rollen lässt, das ist unter Umständen effizienter, als die Energie immer zwanghaft in die Batterie zu pressen mit allen damit verbundenen Wandlungsverlusten. Diese fühlbare Sanftheit darf man auch der neuen, elektrohydraulischen „Eco-Steering“ bescheinigen, die kein bisschen synthetisch, sondern eher verbindlich wirkt. Typisch Mercedes eben!
Bleibt noch die neue Geräuschkulisse an Bord zu erkunden, die zwar nicht völlig verschwunden ist, wie gerne fälschlich behauptet, aber trotzdem völlig verändert daherkommt: statt tieffrequenten, markerschütternden Grummelns breites sich ein feines, hochfrequentes Surren im Innenraum aus. Vor allem von den E-Motoren in den Radkästen aber auch von diversen Wechselrichtern und anderen Komponenten wie der neuen Wärmepumpe, die durch das generell geringere Geräuschniveau deutlicher hervortreten. Andreas Dingler, Versuchsleiter bei Daimler Buses in Neu-Ulm, betont daher auch, „dass es beim Elektrobus noch mehr als früher auf die Psychoakustik ankommt, die man nicht immer mit dem Messgerät objektiv erfassen kann.“ Auf jeden Fall ist der erste vorgestellte Testwagen nochmals deutlich leiser als bisherige Prototypen, die noch eher wie eine Straßenbahn klangen. Also dürfen auch die Fahrgäste den Aufenthalt im neuesten Stadtbus von Mercedes genießen, mit dem guten Gewissen, lokal emissionsfrei unterwegs zu sein. Und auch die Mercedes-Verantwortlichen dürfen sich wieder etwas entspannter zurücklehnen: Der Einstieg in den Umstieg ist endlich gelungen. Mit Bravour!

 

Text und Bildquelle: Olaf Forster

 

 




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