Aufgrund des demografischen Wandels gewinnt das Thema Barrierefreiheit in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung. An einem bundesweiten Kennzeichnungssystem beteiligt sich seit diesem Jahr Baden-Württemberg.
Im Deutschen Bundestag haben Mitte Februar die Grünen den Mangel an barrierefreien Angeboten in der Tourismusbranche beklagt. In einem Antrag schlugen sie u. a. die Gründung einer entsprechenden „nationalen Kompetenzstelle“ vor, um einen ständigen Austausch mit Behindertenverbänden und touristischen Leistungsträgern zu organisieren. Die Bundesregierung müsse überdies auch private Anbieter grundsätzlich verpflichten, Barrierefreiheit schrittweise herzustellen, die verfügbaren Fördermittel bei Bedarf aufstocken und dafür sorgen, dass der Abbau von Barrieren auf Bahnhöfen und in Zügen beschleunigt werde. Weiter wurde kritisiert, dass bisher nur ein Bruchteil der touristischen Unternehmen, Destinationen und Angebote auch für Menschen mit Behinderung uneingeschränkt zugänglich sei. Nach dem bundesweiten Kennzeichnungssystem „Reisen für Alle“ seien bisher noch zu wenige Betriebe und Angebote entsprechend zertifiziert, beklagen die Grünen weiter.
Über das Kennzeichnungssystem „Reisen für alle“ können sich Unternehmen der Tourismusbranche auf Barrierefreiheit überprüfen und nach festgelegten Standards zertifizieren lassen. An diesem bundesweiten Kennzeichnungssystem beteiligt sich seit Januar 2020 u. a. auch die Tourismus Marketing Gesellschaft Baden-Württemberg (TMBW) als Lizenznehmerin. Mit der Beteiligung an „Reisen für alle“ wolle man Unterkünften und anderen Leistungsträgern eine Zertifizierung ihrer Angebote nach einheitlichen Kriterien ermöglichen.
Der Beginn der Kooperation soll zudem der „Startschuss für verschiedene Maßnahmen“ sein, mit denen die Etablierung und Weiterentwicklung barrierefreier Angebote im Land gefördert werden soll. Das Thema Barrierefreiheit werde aufgrund des demografischen Wandels in den kommenden Jahren erheblich an Bedeutung gewinnen, betonte Baden-Württembergs Minister für Justiz und Europaangelegenheiten Guido Wolf (CDU), in dessen Zuständigkeitsbereich auch der Tourismus fällt. Um die Branche für das Thema Barrierefreiheit zu sensibilisieren, plant Baden-Württemberg neben einem Leitfaden für Leistungsträger u. a. auch die Durchführung von Schulungen in verschiedenen Regionen.
Mit dem Schwarzwald bekennt sich auch Baden-Württembergs größte Urlaubsregion zum Thema Barrierefreiheit. Die Schwarzwald Tourismus Gesellschaft (STG) will künftig in Zusammenarbeit mit den Landkreisen und dem Heilbäderverband Baden-Württemberg die Zertifizierung barrierefreier Angebote und Betriebe in der Ferienregion weiter vorantreiben. Mit der Zertifizierung ziele man auf die weite Gruppe von Einwohnern, Tagesgästen, Urlaubern und Geschäftsreisenden mit und ohne Handicap, erklärte ein STG-Sprecher auf Nachfrage von Busmagazin und er fügte hinzu: „Nach unserem Verständnis kommt in einer Gesellschaft, die per se altert und in der auch ältere Menschen ihren Alltag aktiv gestalten wollen, den unterschiedlichsten Aspekten der Barrierefreiheit eine wachsende Bedeutung zu. Der Fokus richtet sich auf die Erschließung und Zugänglichmachung möglichst vieler Erlebnismöglichkeiten für alle.“
Der Sprecher weist darauf hin, dass neben den 8,6 Mio. Urlaubern von der leichten Zugänglichkeit auch die mehr als 3 Mio. Einwohner der Region sowie weit mehr als 100 Mio. Tagesreisende – davon etwa 60.000 Bustouristen und Ausflügler – profitieren. Mit der Zertifizierung könnten „Betriebe neue und wachsende Kundengruppen erschließen, Stammgäste binden und die Wertschöpfung erhöhen“. Zudem erhielten die touristischen Leistungsträger durch die Zertifizierung „wertvolle Impulse für die Weiterentwicklung ihres Angebotes“. Orte und Destinationen, die passende Angebote entlang der Servicekette/Customer Journey vorhalten, würden von einer steigenden Nachfrage profitieren und sich einen Wettbewerbsvorsprung sichern. Im Schwarzwald gebe es es bereits zahlreiche barrierefreie Angebote wie Baumwipfelpfade, die WildLine-Hängebrücke, den Thyssen-Krupp-Aufzugstestturm, Wege und Bahnen auf Freiburgs Hausberg Schauinsland oder auf den Feldberggipfel.
Zudem gebe es barrierefreie Unterkünfte in verschiedenen Kategorien – aber es gibt noch zu wenige zertifizierte Betriebe. Nach „Reisen für alle“ sind es aktuell nur fünf Betriebe, nach den weit weniger differenzierten Kriterienkatalogen von Baden-Württemberg bf oder Escales-Verlag sind es laut der Schwarzwald Tourismus in der Region auch nur rund 25 Betriebe und Einrichtungen. Angesichts dieser Zahlen und der Entwicklung in der Gesellschaft wolle man das Thema „Reisen für Alle“ in den nächsten Jahren intensiv weiterverfolgen.
Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung erwartet auch Hermann Meyering, Vorsitzender der Gütegemeinschaft Buskomfort (gbk), dass dieses Thema in der Bustouristik eine immer wichtigere Rolle spielt. Allerdings sei die Nachfrage nach barrierefreien Reisen aktuell gering und die Zahl der Busreiseveranstalter, die barrierefreie Reisen anbieten, „sehr überschaubar“.
Meyering weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass barrierearme Seniorenreisen ein Thema sind, dass „in der Branche tatsächlich an Bedeutung gewinnt“. Hier könne die Bustouristik mit klassifizierten Qualitätsbussen punkten, die den Gästen maximalen Reisekomfort mit großzügiger Beinfreiheit bieten. Auch bei der Wahl der Übernachtungen und der Gestaltung von Ausflugsprogrammen würden die Busreiseveranstalter immer stärker die Bedürfnisse älterer Menschen berücksichtigen.
Text: Thomas Burgert
Bildquelle: TMBW Düpper