Auch wenn die Corona-Krise und ihre möglichen Folgen bzw. die behördlichen Gegenmaßnamen scheinbar alles überstrahlen, so gibt es durchaus noch andere Herausforderungen, vor der die Branche bzw. Teile von ihr stehen. Beispielsweise die mittelfristige Umrüstung des Fuhrparks im Linienverkehr auf E-Busse. Wir sprachen jetzt mit Stefan Sahlmann, Vice President, Head of MAN Transport Solutions, MAN Truck & Bus. Er zeichnet bei den Münchenern für die Beratung von Unternehmen auf ihrem Weg ins E-Buszeitalter verantwortlich.
Busmagazin: Auf wie viele Unternehmensberatungen mit Blick auf die Elektromobilität kann MAN Transport Solutions aktuell zurückblicken?
Stefan Sahlmann: 2019 hatten wir etwa 50 Beratungsfälle bei Truck, Bus und Van zusammen, wobei Dreiviertel der Beratungen sich auf Busunternehmen konzentrierten.
BM: Wie weit ist das Wissen über die Elektromobilität und ihre Komplexität bei Ihren Kunden mittlerweile entwickelt?
Sahlmann: Der Erfahrungsschatz, mit dem die Unternehmen in unsere Gespräche kommen, ist sehr unterschiedlich. Hatten die Gesprächspartner vor gut zwei Jahren größtenteils noch sehr rudimentäre Kenntnisse, so habe ich heute Kunden, die sich teils sehr tief in die Materie eingearbeitet haben, teils im Bereich ihrer Konzerne, Verkehrsverbände oder Stadtwerke schon erste eigene Erfahrungen mit E-Bussen gesammelt haben. Beim Mittelstand nimmt das Interesse ebenfalls deutlich zu. Diese Unternehmen tasten sich an das Thema heran, auch wenn die flächendeckende Beschaffung noch nicht im Vordergrund steht.
BM: Wie entstehen die ersten Beratungsgespräche?
Sahlmann: In der Regel treten unsere Beratungskunden über den MAN-Vertrieb an uns heran. Die suchen meist hier einfach den ersten Informationsaustausch über die Möglichkeiten der Elektromobilität, die MAN bieten kann. Unsere Verkäufer stellen dann für die Kunden die Verbindung zu unserem MAN Transport Solutions Experten-Team her.
BM: Was sind die ersten Schritte, die Sie bei Ihrer E-Mobilitätsberatung gehen?
Sahlmann: Der Umstieg auf die Elektromobilität erfordert bereits im Vorfeld weitreichende Überlegungen. Die ÖPNV-Unternehmen müssen für sich entscheiden, wie schnell sie dabei vorangehen wollen. Geklärt werden muss dort zudem, welche Linien bzw. Einsatzgebiete elektrifiziert werden sollen. Dann folgt klassischerweise eine Machbarkeitsstudie. Wir fangen mit dem Blick auf die vorhandenen Linien und ihre E-Bustauglichkeit an. Dabei ermitteln wir, ob sich die Dieselbusse eins zu eins durch E-Fahrzeuge ersetzen lassen - unter Umständen durch eine Streckenoptimierung. Das wäre der einfache Fall.
Es kann aber auch sein, dass mehr Elektrobusse als bis dato Diesel zum Einsatz kommen müssen, um die gleiche Fahrdienstleistung zu erreichen. Es kann des Weiteren sein, dass vereinzelt Zwischenladungen untertags notwendig werden, damit die Umrüstung auf die E-Mobilität im geplanten Einsatzgebiet sinnvoll organisiert werden kann.
Basierend auf der E-Routenplanung erfolgt die Erstellung eines einsatzspezifischen Lade- und Energiekonzeptes, welches auch den Bedarf an Ladeinfrastruktur sowie die Auslegung der Netzanbindung beinhaltet. Sind Ladephasen unterwegs notwendig, sei es über Pantograf oder Stecker, so führt das automatisch zu höheren Investitionen und einer Einschränkung der Flexibilität im Fahrbetrieb.
BM: Wie ist bei MAN das Unterstützerteam in Sachen Umstieg auf E-Mobilität aufgebaut?
Sahlmann: Zum einen schult MAN seine Verkäufer intensiv auf unsere E-Fahrzeuge. Damit ist die Basis gelegt. Zum anderen besteht unser Beratungsteam aus sechs Experten, die aus ganz unterschiedlichen Wissensgebieten stammen. Wir sind also, um es etwas salopp zu sagen, keine auf Elektro umgeschulten Dieselmechaniker, sondern Fachleute rund um die E-Mobilität. Entsprechend gut sind wir in der Summe für eine seriöse Beratung aufgestellt und können unseren Kunden eine 360-Grad-Analyse anbieten.
BM: Wenn Sie von Fachleuten sprechen, können Sie da ins Detail gehen?
Sahlmann: Aufgrund unseres beruflichen Wissens und Werdegangs können wir auf Augenhöhe mit den Fachleuten in den Unternehmen sprechen. Ich z. B. komme aus der Fahrzeugtechnik, habe also einen sehr guten Überblick über Reichweiten und Verbräuche von E-Fahrzeugen in ihrem jeweiligen Einsatzfeld.
Mit im Team haben wir einen erfahrenen Routenplaner, der das Thema Linien- und Einsatzplanung aus dem Effeff kann. Er bespricht, kalkuliert und simuliert die Fahrstrecken des Kunden für den E-Buseinsatz. Zudem setzen wir die gleichen Streckenplanungssysteme wie unsere Kunden ein, nur um die Komponente Elektro erweitert.
Darüber hinaus haben wir z. B. einen Fachmann aus der Energiewirtschaft mit an Bord. Er berechnet für unsere Analyse den zu erwartenden Strombedarf und schätzt die zu erwartenden Verbrauchsspitzen ab. Er zeigt zudem schon in den Planungen Optimierungsmöglichkeiten in Sachen Energieverbrauch auf und hilft so, schon im Vorfeld unnötige Energiekosten zu vermeiden. Des Weiteren haben wir ausgewiesene Expertise zum Thema Ladeinfrastruktur und Batterietechnologie im Team.
BM: Wie weitreichend geht Ihre Unterstützung beim Umstieg?
Sahlmann: Wir erarbeiten für den Kunden einen detaillierten Plan, auch einen Stufenplan, wenn dieser schrittweise in die E-Mobilität einsteigen will. Das betrifft nicht nur die Umstellung der Fahrzeugflotte, sondern dieser hat ebenfalls die Ladeinfrastruktur sowie den Betriebshof mit im Blick: Investiere ich bereits heute in viel mehr Ladestationen als ich in den ersten Schritten der Umrüstung brauche oder setze ich auf regelmäßige Bau- und Installationsarbeiten, um sukzessive nachzurüsten?
Auf Kundenwunsch begehen wir die Örtlichkeiten, schauen uns den Betriebshof und die Fahrzeughallen an, machen dem Unternehmen vor Ort Vorschläge, wo was platziert werden kann: Wo ist der Bau von Ladesäulen sinnvoll, wo errichtet man den Transformator? Wie weit darf er von den Säulen noch entfernt stehen, damit die Ladeverluste nicht zu groß werden?
Wir liefern den Kunden ebenfalls eine auf den Einzelfall abgestimmte Kostenabschätzung. Dabei zeigen wir die Investitionen pro Ausbaustufe auf. Auch die operativen Kosten werden berücksichtigt. Einsparung von Dieselkraftstoff gegenüber dem Strombedarf, wobei wir hier ebenfalls die unterschiedlichen Stromstundenpreise je nach Nachfragezeitpunkt beachten. Auf Kundenwunsch inkludieren wir in unsere Berechnungen die erhöhten Personalkosten, weil bei der E-Mobilität - im Fall von einem Fahrzeugmehrbedarf - mehr Fahrer, mehr Reinigungskräfte und mehr Wartungspersonal benötigt werden als bisher.
BM: Wie nimmt Ihr Kunde Einfluss auf die Planungen?
Sahlmann: Die grundsätzliche Frage, die sich ihm stellt, lautet: Wie kann ich das Gleichgewicht zwischen einem optimalen Fahrzeugeinsatz, dem Bedarf an Ladepunkten und den operativen Kosten finden? Wobei der Kunde - je nach seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten - Einfluss auf den gewünschten Schwerpunkt in diesem Dreieck aus Investitions-, Operativkosten und Systemstabilität nehmen kann. Sprich, was kann er sich mehr und was weniger leisten – darauf bauen wir unsere Planungen auf.
BM: Wie lange sind die eigentlich Vorlaufzeiten, bis wirklich die ersten E-Busse vom Hof fahren können?
Sahlmann: 18 Monate Vorbereitungs- und Planungszeit müssen Sie mindestens einkalkulieren. Drei Jahre Vorbereitung und Umsetzung ist bei einer mittelgroß geplanten Flotte ein realistischer Wert.
BM: Herr Sahlmann, herzlichen Dank für Ihre Zeit. Das Gespräch führte BM-Chefredakteur Dirk Sanne.
Bild: Stefan Sahlmann
Bildquelle: MAN Truck & Bus