Hierzulande ist das Konzept eher unbekannt, am Bosporus bildet es das Rückgrat des Nahverkehrs: Ultrakurze Rufbusse, die viel Platz und wenig Luxus bieten. Temsa wagt sich mit dem MD 7 jetzt erstmals auf den deutschen Markt.
Nach Meinung vieler Menschen krankt der ÖPNV in Deutschland oft an seinen verkrusteten Strukturen: Zu große Gefäße, die oft nur leer unterwegs sind und unflexible Taktzeiten, dies es nicht einfach machen, dem Auto den Rücken zuzukehren. Dass es auch anders geht, zeigen die kleinen Rufbusse am Bosporus, die hundertfach in den türkischen Metropolen wuseln und erst dann losfahren, wenn die einigermaßen gefüllt sind. Sie werden hier Dolmuş genannt, was soviel wie „voll“ oder „gefüllt“ bedeutet. Und das mit bis zu 30 Personen, die zwar nicht luxuriös, aber eben doch vernünftig untergebracht sind in einem Gefährt, das eher robust als filigran gebaut ist aber sogar noch einigen Platz für Gepäck mitbringt.
Bisher waren solche Minibusse nach kleinasiatischer Machart in Mitteleuropa kaum denkbar. Zum einen gelten sie als zu grobschlächtig und unkomfortabel, zum anderen teilen sich Kleinbusse auf Transporterbasis (Sprinter und Co.) den Markt weitgehend unter sich auf. Auch MAN bzw. VW werden ab 2019 auf diesem lukrativen Markt mitspielen, was noch mehr Spannung verspricht.
Dabei bietet das türkische Konzept durchaus seine Vorteile, da auf rund 8 m Länge bis zu 33 Personen Platz finden können und mit 10 t zul. GG auch kein drängendes Gewichtsproblem gegeben ist. Bei einem Leergewicht von rund 7 t stehen für jeden Fahrgast 100 kg Nutzlast zur Verfügung, was durchaus ein guter Wert ist (offiziell darf im Kofferraum allerdings nur 260 Kilo zugeladen werden). Und das für einen vergleichbaren Preis wie ein Sprinteraufbau, der ebenso knapp über die 100.000 E-Grenze hinausgehen kann – bei entsprechender Ausstattung. Seinem hochbeinigen, etwas ungelenken Giraffen-Aussehen und dem serienmäßigen Heckeinstieg hat es der Winzling sogar zu verdanken, dass er vor allem im Heck einen ansehnlichen Kofferraum von bis zu 5 m3 vorweisen kann. Davon können Sprinter, Crafter und Co. nur träumen, zumeist müssen die schmalen Gepäckablagen ausreichen. Der winzige Radstand von nur 3,72 m ist zudem Grund für einen rekordverdächtigen Wendekreis von unter 15 m. Das Wenden auf dem sprichwörtlichen Teller sollte damit kein Problem sein. Diesen Wert kann der Mercedes Sprinter nur in seinem kürzesten Baumuster mit 6 m Länge unterbieten. Zusammen mit seiner Breite von 2,40 m ist der Winzling also prädestiniert für Gebirgsstraßen oder enge Altstädte.
Hergestellt werden die kleinen Kapazitätswunder von türkischen Firmen wie Temsa, Otokar und Karsan und waren hierzulande bisher nur „schrullige“ Urlaubserinnerungen vom Bosporus.
Natürlich macht es keinen Sinn, die eher spartanischen Knirpse unverändert nach Europa zu bringen, so dachte sich auch Temsa, dessen deutsche Dependance sich vor allem als Spezialist für Klein- und Midibusse etablieren möchte. Der große Bruder MD 9 macht schließlich einen Großteil der noch zaghaften deutschen Verkäufe aus. Den in der Türkei sehr erfolgreich als „Prestij“ angebotenen Wagen nahm man also im Werk in Adana behutsam in die Hand, verpasste ihm das moderne Reisebuscockpit des größeren MD 9 und nutze die Gelegenheit gleich mit, um der Front ein modernes Antlitz zu verleihen. Der Importeur in Bad Rappenau legt denn auch großen Wert darauf, dass es sich nicht etwa um einen Nachfolger des eher glücklosen Opalin aus der ersten deutschen Temsa-Phase handelt, sondern um ein eigenständiges Konzept, das weitgehend an den mitteleuropäischen Geschmack angepasst wurde. Das ist auch ganz gut gelungen, der kleine Bus besticht mit modernen Klarglasscheinwerfern. Der Einstieg durch die beiden Türen fällt dank deren großer Höhe sehr leicht. Auf Wunsch ist sogar ein Rollstuhllift zu bekommen, der wird dann vor der Hinterachse recht mit einer Zusatztür verbaut. Der Heckeinstieg ist sinnvollerweise Serie bei dem Mini.
Küche oder Toilette sind beim MD 7 zwar konsequenterweise Fehlanzeige, einen Reiseleitersitz gibt es auf Wunsch, wenn man auf eine Sitzreihe verzichtet (dann 31+1+1). In beiden Fällen geht es in der letzten Reihe hinter der Absperrung etwas beengt zu, eine Gangbreite von 35 bis 36 cm ist aber durchaus an Großbussen angelehnt. Podeste gibt es nicht, die Stehhöhe ist mit 1,92 m angenehm zu nennen, die Höhe der Fenster ist mit genau 1 m schon enorm und kann mit ausgewachsenen Reisebussen mithalten. Der Sitzkomfort der Inova Optima Sitze hält sich zwar in Grenzen, aber für die lange Reise ist der Wagen ja nicht ausgelegt.
Ähnliches lässt sich auch von Motorisierung und Fahrkomfort sagen. Der wackere Cummins-Vierzylinder mit 4,5 l Hubraum, leistet 180 PS und ganze 700 Newtonmeter an maximalem Drehmoment. Bei Tempo 100 liegen quirlige 2200 Touren an. Das Sechsganggetriebe von ZF bedingt zudem Drehzahlsprünge von bis zu 500 Touren. Nicht nur die Hochtourigkeit des Maschinchens sind der Grund für eine deutliche Geräuschbelastung im Innenraum (wir messen zwischen 70 und 80 Dezibel). Und zwar nicht nur über der Vorderachse, wo der wackere Geselle kauert, sondern im gesamten Fahrzeug. Um den wohl durch die Karosserie vermittelten Körperschall zu minimieren, will man in Bad Rappenau jedoch an den Motorlagern arbeiten – gute Idee!
Vielleicht hat der ebenfalls lieferbare N-45 Motor von Fiat Power Train (FTP) mit 186 PS, der mit einer Wandlerautomatik von Allison gepaart ist, ja bessere Manieren. Er bietet 680 Nm und das regenerationsfreie HI-eSCR-System zur Abgasreinigung. Große Sprünge lassen sich mit beiden Aggregaten nicht wirklich machen, mit leeren Fahrzeug ging dem Bus schon an mittleren Steigungen der Autobahn erkennbar die Luft aus.
Das Fahrwerk des Zwerges wiederum hat uns positiv überrascht. Dafür, dass eine starre Frontachse (alle Achsen von Albion, die zu American Axle & Manufacuring gehören) an robusten Blattfedern verbaut ist, die auch noch direkt mit dem Gewicht des Motors belastet ist, kann man nicht wirklich meckern. Der kleine Radstand unterstützt zwar noch das fröhliche Nicken des Vorderwagens, aber der Wagen wird nie so unkomfortabel, dass man ihm seine Berechtigung für Kurzstrecken und Wochenendtrips absprechen möchte.
Dem Fahrer kommt der Komfort des ausgewachsenen, wenn auch nicht immer perfekt verarbeiteten Reisebuscockpits zugute. Besonders übersichtlich ist die Sicht aus dem Fahrerfenster, hier ist selbst ein veritabler Schulterblick möglich, was bei den wenigsten Bussen der Fall ist. Die Bremse mit stehendem Pedal (Gas hängend) ist gut dosierbar und tut gute Dienste. Eine fünfstufige Telma sorgt für die verschließfreie Dauerbremse. Spurassistent für Klasse 3 ist ebenso an Bord wie der serienmäßige Luxus einer Fernbedienung der Türen im Schlüssel. Weiterer Luxus verbietet sich bei dem Kampfpreis natürlich von selbst.
Auch wenn der mitteleuropäische Buskunde sich an das Konzept des kleinen Busses mit robusten Zutaten doch sehr gewöhnen muss, als wendige Alternative mit viel Platz zu Sprinter und Co. hat er eine Berechtigung. Und sei es, um ein wenig Bosporus-Flair in den traditionellen deutschen ÖPNV zu bringen.
Text und Bildquelle: Olaf Forster