Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in zwei Fällen zum Thema Urlaubsansprüche geurteilt und in beiden Fällen die Arbeitnehmerrechte gestärkt. So besteht nach einem aktuellen Urteil des EuGH der Urlaubsanspruch auch über den Tod hinaus. Als Konsequenz haben die Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers gegenüber dessen ehemaligem Arbeitgeber einen Anspruch, sich das Geld für nicht genommene Urlaubstage auszahlen zu lassen.
Das Gericht stellte dabei ausdrücklich klar, dass „sofern das nationale Recht eine solche Möglichkeit ausschließt“, sich die Erben unmittelbar auf das Unionsrecht berufen können. Stelle sich heraus, dass eine nationale Regelung – wie derzeit in Deutschland – nicht im Einklang mit dem Unionsrecht ausgelegt werden könne, das nationale Gericht die „nationale Regelung unangewendet“ lassen muss. Das Gericht habe dafür Sorge zu tragen, dass „der Rechtsnachfolger von dem ehemaligen Arbeitgeber eine finanzielle Vergütung für den von dem Arbeitnehmer gemäß dem Unionsrecht erworbenen und vor seinem Tod nicht mehr genommenen bezahlten Jahresurlaub erhält“, mahnen die europäischen Richter. Die Frage war übrigens vor dem EuGH gelandet, weil ein deutsches Arbeitsgericht den Gerichtshof ersucht hatte, sie abschließend zu klären. Geklagt hatten in Deutschland zwei Witwen als Rechtsnachfolgerinnen ihrer Ehemänner.
Der Europäische Gerichtshof hatte bereits 2014 entschieden, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub nicht mit seinem Tod erlischt. Fraglich war allerdings, ob diese Rechtsprechung auch dann gelte, wenn eine solche finanzielle Vergütung nach dem nationalen Recht „nicht Teil der Erbmasse“ wird, wie dies in Deutschland der Fall ist. Außerdem könne der mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub verfolgte Zweck, dem Arbeitnehmer Erholung zu ermöglichen, nach dessen Tod ja nicht mehr verwirklicht werden.
Der Gerichtshof erkannte in seinem Urteil an, dass „der Tod des Arbeitnehmers unvermeidlich zur Folge hat, dass er die Entspannungs- und Erholungszeiten nicht mehr wahrnehmen kann“, heißt es seitens des EuGH. Doch der zeitliche Aspekt ist laut der Richter eben nur eine der Komponenten des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub – das in der EU ausdrücklich als Grundrecht verankert ist. Dieses Grundrecht umfasse auch einen Anspruch auf Bezahlung im Urlaub und eben den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub.
In einem weiteren Urteil befassten sich die europäischen Richter mit dem Urlaubsanspruch noch unter den Lebenden weilender Arbeitnehmer. Ein Arbeitnehmer verliere die ihm gemäß dem Unionsrecht zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen Urlaub nicht automatisch schon allein deshalb, weil er vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses (oder im Bezugszeitraum) keinen Urlaub beantragt habe, urteilten die Richter.
Diese Ansprüche können nur untergehen, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber z. B. durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, die fraglichen Urlaubstage rechtzeitig zu nehmen, was der Arbeitgeber aber beweisen muss, wie die Richter ausdrücklich betonten.
Der Arbeitnehmer sei „als die schwächere Partei des Arbeitsverhältnisses anzusehen“ und könne daher davon abgeschreckt werden, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber ausdrücklich geltend zu machen, da insbesondere die Einforderung dieser Rechte ihn Maßnahmen des Arbeitgebers aussetzen kann, die sich zu seinem Nachteil auf das Arbeitsverhältnis auswirken können.
Ist der Arbeitgeber jedoch in der Lage, den ihm obliegenden Beweis zu erbringen, dass „der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage darauf verzichtet hat, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, nachdem er in die Lage versetzt worden war, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen“, stehe das Unionsrecht dem Verlust dieses Anspruchs und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – dem entsprechenden Wegfall der finanziellen Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub nicht entgegen.
Wie konkret der Arbeitgeber dabei handeln muss, ließen die Richter zwar offen, doch auf jeden Fall haben sie nun die Pflicht, ihre Mitarbeiter daran zu erinnern, dass diese ihren Urlaubsanspruch wahrnehmen. Eine generelle Aufforderung an die Belegschaft, wie beispielsweise „jetzt nehmen Sie bitte mal alle Ihren Urlaub“, genüge dabei „wohl nicht“, sagte der Arbeitsrechtsanwalt Christian Hoefs, Arbeitsrechtspartner in der Kanzlei Hengeler Mueller in Frankfurt gegenüber der Wirtschaftswoche und fügte hinzu: „Es muss wohl konkreter werden in der Art: ‚Frau X oder Herr Y, Sie sind verpflichtet, Ihren Resturlaub von x Tagen zu nehmen, tun Sie das bitte.‘“ Wenn der Arbeitnehmer dem dann nicht nachkomme, könnte der Urlaubsanspruch verfallen. Hoefs betonte dabei ausdrücklich, dass die Möglichkeit, den Urlaub zu nehmen, auch realistisch sein muss. Der Arbeitgeber muss glaubhaft machen können, dass er an den Urlaubsanspruch erinnert hat und der Arbeitnehmer auch Gelegenheit hatte, seinen Urlaub zu nehmen.
Die Richter stellten in beiden Urteilen weiter fest, dass die vorstehenden Grundsätze unabhängig davon gelten, ob es sich um einen öffentlichen Arbeitgeber oder einen privaten Arbeitgeber handelt.
Text: Thomas Burgert
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